Zum Schießen Premiere EZ Kritik 30.4.16
Esslinger Zeitung 30.4. 16
„Falsch war falsch, und wahr war wahr“
ESSLINGEN: Das neue Kabarettprogramm der Galgenstricke ist und heißt „Zum
Schießen“
Von Gaby Weiß
Es ist zum Grinsen, zum Kichern und zum Lachen – das neue Programm der Esslinger Galgenstricke,
das die beiden Kabarettisten aus der Webergasse am Donnerstagabend vor begeistertem
Premierenpublikum aus der Taufe gehoben haben. Es ist „Zum Schießen“, und so heißt
passenderweise auch der Titel. Obwohl sich die beiden (die EZ berichtete) aus Zeitgründen ab und
an auch von älteren Erfolgsnummern inspirieren ließen und auf die eine oder andere musikalische
Komposition aus vergangenen Jahren zurückgreifen, merkt man das nicht: So frisch, so gegenwärtig
und so lebendig kommt „Zum Schießen“ daher. Das Material aus dem Fundus wurde aktualisiert,
nochmals gegen den Strich gebürstet und zum größten Teil dann doch neu formuliert. Und wenn
gleichwohl in einem treuen Kabarettbesucher Erinnerungen aufsteigen, dann wird das unter
„Wiederhören macht Freude“ verbucht. Wie gern hört man immer wieder Herbert Häfeles
musikalisches Medley aus Wohlvertrautem, das in schwindelerregender Schnelligkeit vom
schmissigen Song zur drögen Schlagerweisheit tingelt, das „Herz über Kopf“ mit dem „roten Pferd“
zu einem „Prosit der Gemütlichkeit“ in die kleine Kneipe in unserer Straße galoppiert.
Wie wenig sich die Zeiten ändern
Oder jener nostalgische Rückblick auf Schießer-Unterwäsche, Schulmädchenreport und
„Satisfaction“ von den Rolling Stones, der im Publikum zustimmendes Nicken erntet: „Falsch war
falsch, und wahr war wahr.“ Garniert mit hübschen Anknüpfungspunkten an das Hier und Heute,
die vor Augen führen, wie wenig sich die Zeiten ändern: Weil Esslinger Lokalpolitiker damals wie
heute schnell verschnupft sind, wenn irgendjemand Kritik an ihrem Tun und Lassen übt, „werden
ganz schnell sämtliche Frischluftschneisen zugebaut“, auf dass sich keiner mehr erkältet. Auch Erich
Koslowskis Paradefigur, den Alten aus Ostpreußen, will in einem Galgenstricke-Programm keiner
missen: Mit Gehstock, „Bio-Ei-Phone“ und einem via Atomstrom beheizten Toaster echauffiert er
sich wie eh und je. Sein ramponierter Strohhut freilich hat wahrlich schon bessere Zeiten gesehen.
Dazu kommen jede Menge neue Szenen: Die Idylle des Sonnenaufgangs mit Vogelgezwitscher wird
jäh durch Gewehrfeuer gestört, und das ist keineswegs „Zum Schießen“. Zu schmucken Weisen wie
„Junge, komm bald wieder“ wird dem Flüchtling klar gemacht, dass er gefälligst wieder aufs Meer
hinausfahren soll. Es macht einen schaudern, denn es geht – „Freude schöner Götterfunken, Fremde
aus dem Morgenland“ – um abgefackelte Flüchtlingsunterkünfte. Perfide kombiniert wird das mit der
Deutschen liebstem Liedgut, in das sich arglistige Reime und üble Parolen einschleichen. Und
schließlich endet es im alle und alles umarmenden „Einigkeit und Recht und Freiheit“ – und mit
spontanem Szenenapplaus.
In zwei aktuellen Nummern über das Abschneiden der Parteien bei der jüngsten Landtagswahl findet
Erich Koslowski Erklärungen für den Wahlausgang in der Straßenverkehrsordnung, wo es da heißt:
„Steht die Ampel auf Rot, dem grünen Pfeil folgend nach rechts abbiegen.“ Er erklärt abstruse
mathematische Konstrukte, mit deren Hilfe man sich die Wahlergebnisse doch noch irgendwie
demokratisch schönrechnen kann. Und Winfried Kretschmann und Thomas Strobl rudern gemeinsam
auf dem Eckensee: Der eine stopft das Leck mit einem Jute-Säckle, der andere schöpft Brackwasser,
und rundherum dümpeln die üblichen Verdächtigen und bohren immer neue Löcher ins Koalitions-
Boot. Erich Koslowski und Herbert Häfele sind in ihren Tarnfarben-T-Shirts bestens aufgelegt und
sehr präsent. Da wird auch mal im beinahe sinnfreien Schwafel-Dialog köstlich herumgealbert, sie
drehen sich gegenseitig das Wort im Mund herum, und das Publikum lacht Tränen beim
aussichtslosen Kampf ums vergessene Stichwort.
Nicht alles ist zum Lachen
Die beiden, die seit 1988 als Duo auf der Bühne stehen, sind authentisch: Man merkt, dass sie alles
selbst schreiben, komponieren und inszenieren. Statt in fremde Rollen zu schlüpfen, lassen sie
höchstens mal das Alter Ego raus. Das passt und das ist stimmig. Aber im neuen Programm „Zum
Schießen“ ist trotzdem nicht alles zum Lachen: Vieles ist bitterböse und vieles auch zum
Nachdenken. Denn natürlich müssen Satiriker in diesen Tagen auch Farbe bekennen: „War das eine
Beleidigung?“ fragt der eine, „Ha noi, des war Satire“, antwortet der andere. Alles was Recht ist.