Kritik Esslinger Zeitung 19.4.23 „Bettnäss Wellnäss – Frisch gewickelt“

Klare Kante in der Demenz-Residenz

Von Alexander Maier

Der Kabarettist Erich Koslowski hat sein Soloprogramm „Bettnäss Wellness“ nach 16 Jahren neu aufgestellt und noch eine Schippe draufgelegt. Sein satirischer Blick auf die „schöne, neue Welt“ der Alten fand bei der Premiere im Esslinger Galgenstricke-Keller viel Beifall.

Esslingen. Mit dem Älterwerden ist das so eine Sache: Jeder will alt werden, aber keiner will alt sein. Denn da plagt einen gerne mal ein Zipperlein, ungeniert wird man auch von denen, die sonst maximale Sensibilität einfordern, als „alter weißer Mann“ abgekanzelt, und wer auf Pflege angewiesen ist, bekommt den Notstand allzu leicht zu spüren – sofern er sich nicht längst im Dschungel der Bürokratie verirrt hat. Der Esslinger Kabarettist Erich Koslowski weiß nur zu gut, was es heißt, wenn Angehörige auf Pflege angewiesen sind. Darauf hat er sich schon 2007 in „Bettnäss Wellness“ einen satirischen Reim gemacht. Und weil seither nur wenig besser, vieles jedoch noch schlimmer geworden ist, hat er sein erstes Soloprogramm nach 16 Jahren komplett überarbeitet. Nun hat „Bettnäss Wellness – Frisch gewickelt“ im Kabarett der Galgenstricke Premiere gefeiert. Erich Koslowski zeigt sich darin einmal mehr blitzgescheit, herrlich humorvoll und satirisch messerscharf – genau so, wie politisches Kabarett sein muss.

Von der ersten Sekunde an zieht der Galgenstrick in seiner kabarettistischen Ü-80-Party ein Powerplay ab. Er hat recherchiert, mit Alten, mit Pflegepersonal, Heimleitungen, Ärzten, Pflegekassen-Verwaltern und Lobbyisten diskutiert und manchmal auch gestritten. Er hat sich über die zunehmende Bürokratisierung in der Pflege geärgert, die Zeit kostet, die dann für eine zugewandte Pflege im Altersheim fehlt. Und er lässt den Blick in eine Zukunft schweifen, in der künstliche Intelligenz, ChatGPT und Alexa das luxuriöse Leben in seiner fiktiven „Inkontinenz-Residenz Schlossgut Lady Di Bello Haus Dämmerschön“ bestimmen – inklusive des Versprechens: „Wer bei uns stirbt, stirbt als Lady.“ Weghören und -sehen geht in dieser schönen, neuen Seniorenwelt der Zukunft nicht mehr – der künstlich-intelligente Netzhaut-Scanner und das Hörgerät werden per Fernsteuerung aktiviert …

Was heute schon traurige Realität ist, denkt Koslowski weiter. Das mag oft absurd klingen, doch wenn man es genau bedenkt, wird manche Überspitzung vom ganz Alltäglichen bisweilen überholt. So malt sich der Kabarettist in einer nagelneuen Nummer aus, was passieren kann, wenn Alexa, Siri und all die anderen digitalen Helferlein plötzlich ein Eigenleben entwickeln und zur Plage werden. Das fängt ganz harmlos an, wenn sich der Kofferraumdeckel am Auto beim Beladen selbstständig macht. Und das endet in den eigenen vier Wänden, wo der hilflose Hausbesitzer auf die Toilette flüchten muss, weil er sein smartes Home nicht mehr im Griff hat. In solchen Nummern zeigt Koslowski sein ausgeprägtes komödiantisches Talent. Trotzdem ist nichts von alledem nur schierer Klamauk. Nach dem ersten herzhaften Lachen blitzt prompt der Hintersinn auf, und das anfängliche Amüsement weicht der Erkenntnis, dass gerade manches schiefläuft – und dass keiner so recht weiß, wie’s besser werden soll.

Der Kabarettist sprüht nur so vor witzigen Einfällen. Er bürstet die Realität gegen den Strich und entdeckt ein ums andere Mal im scheinbar Alltäglichen das Bemerkenswerte. Das ist mal erfrischend frech, mal bitterböse, dann augenzwinkernd heiter und immer wieder gespickt mit harten Fakten, die einen spüren lassen, wie intensiv sich Erich Koslowski mit der Situation alter Menschen in Gegenwart und Zukunft auseinandergesetzt hat: Was soll aus einer Gesellschaft werden, in der allein im vergangenen Jahr 440 000 neue Demenz-Fälle diagnostiziert wurden? In der die Baby-Boomer in Scharen in Rente gehen, während schon jetzt Pflegepersonal an jeder Ecke fehlt? Und in der die Pflege von manchen eher als einträgliches Geschäft verstanden wird?

Erich Koslowski nimmt in „Bettnäss Welness – Frisch gewickelt“ kein Blatt vor den Mund. Und er hat seit der ersten Auflage 2007 noch eine Schippe draufgelegt. Zweimal gut 45 Minuten lang gibt er alles – und das ist eine ganze Menge. Und natürlich hat er auch diesmal wieder „Verstärkung“. Wenn der Galgenstrick Kabarett macht, darf sein Alter Ego nicht fehlen: der olle Kowalschinski, der mit ostpreußischem Zungenschlag ungeniert drauflos pöbelt, dem Rest der Welt die Leviten liest und dabei auch sich selbst nicht schont, wenn er von seinem Alltag im Altersheim erzählt, Gott nur als tschechischen Schlagersänger kennen will und treuherzig versichert, dass Engel in Wahrheit gelb sind und beim ADAC arbeiten. Und der beweist, dass man nie zu alt ist, um auf der Kabarettbühne Klartext zu sprechen.

Erich Koslowski und die Galgenstricke

Die Anfänge

30 Studentinnen und Studenten und zwei Dozenten der damaligen Pädagogischen Hochschule Esslingen machten Mitte der 70er Jahre Kabarett. Älteren ist ihr Auftritt beim Stadtjubiläum 1977 unvergessen: Die Esslinger hatten sich zum 1200-jährigen Bestehen ihrer Stadt mit einer renovierten Burganlage beschenkt. Zur Einweihung entwickelten die Studentenkabarettisten das Theaterstück „Der Ritter von Zwieblingen“ – ein Riesenspaß. Erich Koslowski war damals als fiktiver Fürst von Esslingen zu sehen, der im Goggomobil vorfuhr, begleitet von sechs Gogo-Girls.

Die Galgenstricke

Was damals als Studentenprojekt begonnen hat, wurde für Erich Koslowski, Herbert Häfele und Dieter Trieß zum Beginn einer kabarettistischen Karriere. Erst spielten sie als „Galgenstricke“ im Vier Peh, 1985 gründeten sie in der Webergasse eine Kabarettbühne, die Koslowski und Häfele bis heute führen.

Der Kabarettist

Seither haben Häfele und Koslowski zahlreiche Produktionen als Galgenstricke-Duo präsentiert. Mit „Bettnäss Wellness“ feierte Koslowski 2007 die Premiere seines ersten Soloprogramms, das vom Altsein, Altwerden und Abgeschoben-Werden erzählt und bis heute beklemmend aktuell geblieben ist.  adi